
„Eine wunderbare Tankstelle“
„Eine wunderbare ‚Tankstelle‘“, hat jemand in das Besucherbuch geschrieben. Wer die Pfarrkirche Heilige Familie in Wehrstapel betritt, lässt die Welt draußen. Die Bundesstraße rauscht nur wenige Meter entfernt, doch im Inneren herrscht eine Ruhe, die fast körperlich spürbar ist. Kein Motor, kein Hupen – nur das eigene Herz, das im hohen Raum lauter klingt als sonst. Schon immer war dieser Kirchenbau ein Ort der Stille. Doch nun können Besucher ihn auf eine neue Weise erleben: als Lichterkirche.
Farben, Klänge, Texte
Am Eingang steht ein Bildschirm. Mit einem Fingertipp öffnet sich die Auswahl: Lichterstimmungen, Lieder, Andachten, Meditationen. Hinter dem Altar strahlen LED-Leuchten nach oben, die den gut 14 Meter hohen Raum in wechselnde Farben tauchen. Blau für die Ruhe, Grün für Hoffnung, Rot für Kraft. Mal wirkt der Kirchenraum weit und hell, mal intim und warm.
„Die Bedienung ist ganz einfach“, erklärt Werner Thamm. Er hat den Einbau der Lichterkirche von Anfang an begleitet und kümmert sich auch weiterhin um die Technik. „Ein paar Sekunden, und man ist mitten drin in einer Stimmung, die man selbst gewählt hat.“ Kein Einspieler dauert länger als zehn Minuten. Kurz genug für eine Rast, lang genug, um spürbar anders hinauszugehen.
Zur Auswahl steht auch Taizé-Musik. „Laudate omnes gentes“ erklingt, getragen vom Klang des Raumes. Wer die Augen schließt, meint, ein Chor singe nur für ihn allein. Ein Privatkonzert zwischen Backsteinwänden und Lichtkränzen, die über den Holzbänken schweben.

Ruhen, Auftanken, Danken
„RAD“ nennt sich das Projekt. Das Kürzel steht für Ruhen, Auftanken, Danken. Der Name verweist zugleich auf die Lage der Kirche am Ruhrtalradweg. Für Radfahrer ist Wehrstapel ein perfekter Zwischenstopp: Hier finden sie nicht nur Bänke und eine Tischgruppe vor der Kirche, sondern auch eine Pause für Körper und Seele.
Doch nicht nur Radler sind gemeint. „Wir wollen auch Menschen ansprechen, die vielleicht schon lange keinen Gottesdienst mehr besucht haben“, sagt Thamm. Wer Freude, Kraftlosigkeit oder Traurigkeit mitbringt, findet hier einen Ort, der all diese Gefühle ernst nimmt und in eine spirituelle Erfahrung verwandelt.
Zwei Jahre Arbeit
Zwei Jahre dauerte die Umsetzung. Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat entwickelten das Konzept, unterstützt vom Pastoralen Raum Meschede-Bestwig. Die Technik lieferte die Firma Mediaki, die bereits mehrere Lichterkirchen ausgestattet hat. Das Erzbistum Paderborn übernahm einen großen Teil der Kosten, den Rest trugen die Gemeinde und viele Spender.
Angebote für Kinder und Jugendliche
Die Lichterkirche richtet sich nicht nur an Erwachsene. Kinder können biblische Geschichten hören, etwa vom verlorenen Schaf oder vom barmherzigen Samariter – letztere sogar als Rap. Für die Kleinsten gibt es eine Spielecke, die auch während der Andachten genutzt werden darf.
Auch Jugendliche finden passende Musik und Gedanken. Lieder von Reinhard Horn gehören genauso dazu wie moderne Impulse. „Wir wollten etwas, das alle Generationen anspricht“, betont Thamm.
Raum für Gruppen
Die Lichterkirche lebt von Beteiligung. Schulen, Kindergärten und Vereine können eigene Beiträge von der Firma Mediaki einspielen lassen. So wächst ein immer vielfältigeres Repertoire, das Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen anspricht.
Für Gruppen bietet die Kirche zudem Platz für besondere Feiern. Denkbar sind Fasten- und Adventsandachten, Friedensgebete, Taizé-Abende oder Konzerte. Veranstalter können eigene Lichteinstellungen nutzen und so ihre Feier in eine besondere Atmosphäre tauchen.
Technik mit Seele
Das mediale System wirkt modern, fügt sich aber unaufdringlich in die Schlichtheit des Raumes ein. Keine Schnörkel, kein Gold, keine überladenen Altäre – stattdessen Holzfiguren, Backsteinwände und klare Linien. Gerade diese Zurückhaltung lässt die Lichteffekte so eindringlich erscheinen.
Ein Touchscreen, ein paar versteckte LED-Strahler, dazu Lautsprecher, die den Raum gleichmäßig füllen – mehr braucht es nicht. Wer in der Mitte sitzt, spürt: Hier verschmelzen Raum, Klang und Licht zu etwas Größerem.
Ein Ort zum Wiederkommen
Wer einmal hier war, versteht: Die Lichterkirche ist kein technischer Gag, sondern eine Einladung. Zum Innehalten, zum Staunen, zum Aufatmen. Sie verbindet alte Mauern mit neuer Technik, Alltag mit Spiritualität, Schlichtheit mit Farbe.
Vielleicht ist das ihr größter Reiz: Man kann immer wiederkommen – und jedes Mal etwas Neues entdecken. Mal ein anderes Lied, mal eine neue Lichtstimmung, mal einen Gedanken, der noch nachklingt, wenn man längst wieder draußen ist.
Und dann hört man es wieder, draußen auf der Straße: das Rauschen der Autos. Doch etwas klingt weiter, leiser, innerlich. Ein Stück Ruhe, das man mitnimmt auf den Weg.
Andreas Beer
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